Letzten Dienstag war Kammertermin beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen. Nach meiner Verhandlung wurde eine fristlose Kündigung verhandelt, die auf den Verdacht einer Straftat zu Lasten des Arbeitgebers gestützt wurde. Die Kündigung scheiterte an der fehlerhaften Anhörung, wie berichtet wurde.
Die Verdachtskündigung ist schon ein seltsamer Sonderfall: Der Mitarbeiter wird entlassen, obwohl ihm eine Straftat nicht nachgewiesen werden kann. Das Bundesarbeitsgericht rechtfertigt diese Konstruktion mit dem Hinweis, dass nicht nur die erwiesene Tat, sondern auch schon der dringende Verdacht das Arbeitsverhältnis unerträglich belasten kann. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 II MRK stehe einer Verdachtskündigung nicht entgegen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 06.12.2001 – 2 AZR 496/00). Das ist richtig, denn die Unschuldvermutung ist eine Element des Strafrechts. Ohne die Verdachtskündigung könnte der Arbeitgeber erst nach Abschluss des Strafverfahrens kündigen. Bis zu diesem Zeitpunkt bliebe nur eine bezahlte Freistellung des Arbeitnehmers.
Voraussetzungen der Verdachtskündigung
Pflichtverletzung oder Straftat im Arbeitsverhältnis
Der Mitarbeiter muss eine Tat begangen haben, die zugleich eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt (z.B. Diebstahl zu Lasten des Arbeitgebers oder eines Geschäftspartners). Taten in der Freizeit ohne Bezug zum Arbeitsverhältnis rechtfertigen die Kündigung nicht. In jedem Fall muss aber die Tat so schwer wiegen, dass sie eine Kündigung erlauben würde, wenn sie dem Arbeitnehmer nachgewiesen werden könnte.
Dringender Verdacht
Mehr oder weniger plausible Vermutungen reichen nicht aus. Der Verdacht muss sich auf konkrete Tatsachen stützen, er muss objektiv begründet sein. Ich habe einmal einer Arzthelferin gekündigt, die sich gelegentlich die von den Patienten gezahlte Praxisgebühr in die eigene Tasche gesteckt hat. Keiner hat sie dabei beobachtet, aber nur sie hatte – neben dem Arzt – den Schlüssel zur Kasse. Niemand sonst kam als Täter infrage. Aufgrund der drückenden Beweislage nahm sie später die Kündigungschutzklage zurück. Zugegeben, ein einfacher Fall, nicht immer ist es so leicht. Dann hilft aber häufig erst einmal der gesunde Menschenverstand weiter, denn Verdacht entsteht meist, weil irgendwie manche Umstände nicht zueinander passen. Diesem Gefühl muss man nachgehen und sorgfältig ermitteln.
Sachverhalt aufklären
De Arbeitgeber muss alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um den Sachverhalt aufzuklären. Was „zumutbar“ ist, hängt natürlich von den Umständen ab. Keinesfalls darf aber nur belastendes Material zusammengetragen werden. Tatsachen, die für den Mitarbeiter sprechen, müssen berücksichtigt werden. Spätestens im Kündigungsschutzprozess muss sich der Arbeitgeber damit auseinandersetzen. Das kann zu spät sein, vor allem, wenn vor der Kündigung ein Betriebsrat anzuhören ist. Läuft ein Ermittlungsverfahren gegen den Mitarbeiter, müssen die Ergebnisse aber nicht abgewartet werden.
Mitarbeiter anhören
Das Kernstück der Verdachtskündigung. Der Mitarbeiter muss angehört werden. Hier kommt jetzt die Unschuldsvermutung ins Spiel. Ohne Anhörung keine Verdachtskündigung – sonst ist sie unwirksam! Deshalb müssen dem Arbeitnehmer alle bekannten Fakten mitgeteilt werden. Tatsachen, keine Wertungen. Der Mitarbeiter muss zu konkreten Vorwürfen ebenso konkret antworten und die Verdachtsmomente entkräften können. Lehnt der Mitarbeiter es ab, sich zu den Vorwürfen zu äußern, ist die Anhörung beendet. Dies gilt auch, wenn er von vorherein erkärt, keine Stellungnahme abgeben zu wollen. Dies muss aber eindeutig sein und sorgfältig dokumentiert werden, um dies später auch beweisen zu können.
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