Wer krank ist, den treffen zwei Pflichten gegenüber dem Arbeitgeber. Zum einen muss der Arbeitnehmer ihm umgehend mitgeteilt werden, dass er erkrankt ist und wie lange die Krankheit ungefähr dauern wird. Eine zuverlässige Prognose ist zwar schwierig, wenn die Krankheit vermutlich länger dauern wird. Hier kommt es aber darauf an, dass der Arbeitgeber abschätzen kann, ob der Arbeitnehmer vielleicht nur kurz fehlt oder ob die Arbeit für eine Woche umorganisiert werden muss. Es geht also um Planungssicherheit.
Zum andern muss der Arbeitnehmer nach dem Gesetz spätesten am 4. Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (der „Gelbe Schein“) dem Arbeitgeber vorlegen. Dies ist im Entgeltfortzahlungsgesetz geregelt; § 5 Abs. 1 EntgFG.
Was ist „Arbeitsunfähigkeit“?
Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat die sogenannte Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie herausgegeben (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V). Dort ist in § 1 Abs. 1 die Arbeitsunfähigkeit definiert:
Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte auf Grund von Krankheit seine zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn auf Grund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen.
Arbeitsunfähig ist man also nicht bereits, wenn man krank ist. Man darf auch die ausgeübte Tätigkeit nicht mehr erbringen können. Oder aber aufgrund der Tätigkeit absehbar nicht erbringen kann. Der Arzt muss also auch danach fragen, § 2 Abs. 5 AU-RL:
Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit setzt die Befragung des Versicherten durch den Arzt zur aktuell ausgeübten Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen und Belastungen voraus. Das Ergebnis der Befragung ist bei der Beurteilung von Grund und Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu berücksichtigen. Zwischen der Krankheit und der dadurch bedingten Unfähigkeit zur Fortsetzung der ausgeübten Tätigkeit muss ein kausaler Zusammenhang erkennbar sein.
Persönliche Untersuchung erforderlich
Eine telefonische Diagnose ist unzulässig, der Arzt muss den Kranken persönlich untersuchen, § 4 Abs. 1 AU-RL:
Bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sind körperlicher, geistiger und seelischer Gesundheitszustand des Versicherten gleichermaßen zu berücksichtigen. Deshalb dürfen die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit […] nur auf Grund ärztlicher Untersuchungen erfolgen.
Rückdatierung ist möglich
Es kann manchmal notwendig sein, auch für die Zeit vor dem Arztbesuch die Krankheit zu dokumentieren. Das ist in engen Grenzen erlaubt, § 5 Abs. 3 AU-RL:
Die Arbeitsunfähigkeit soll für eine vor der ersten Inanspruchnahme des Arztes liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu drei Tagen zulässig.
Die Frist für die Rückdatierung wurde von zwei auf drei Tage verlängert. Die neue Fassung der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie trat am 06.03.2016 in Kraft.
Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
Manchmal befürchten Arbeitgeber, dass der kranke Mitarbeiter gar nicht krank ist, sondern schlicht blaumacht. In diesen Fällen wird vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen eine Untersuchung durchgeführt, § 275 Abs. 1 SGB V. Kommt der Medizinische Dienst zu einem anderen Untersuchungsergebnis, so gibt es in § 7 Abs. 2 AU-RL eine Kollisionsregel:
Das Gutachten des Medizinischen Dienstes ist grundsätzlich verbindlich. Bestehen zwischen dem Vertragsarzt und dem Medizinischen Dienst Meinungsverschiedenheiten, kann der Vertragsarzt unter schriftlicher Darlegung seiner Gründe bei der Krankenkasse eine erneute Entscheidung auf der Basis eines Zweitgutachtens beantragen. Sofern der Vertragsarzt von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, hat er diesen Antrag unverzüglich nach Kenntnisnahme der abweichenden Beurteilung des Medizinischen Dienstes zu stellen
Beweiswert der Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung
Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat regelmäßig einen hohen Beweiswert (BAG, Urteil vom 26.02.2003 – 5 AZR 112/02; LAG Düsseldorf, Urteil vom 17.07.2003 – 11 Sa 183/03). Zweifel daran können sich aber nach § 275 Abs. 1a SGB V insbesondere ergeben, wenn
- Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder
- die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.
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